Endlich wieder Wind

21:56 Hoch am Wind nach Madeira. Albtraum. Aber wenigstens ist er jetzt wieder da. Hoffentlich bleibt er auch. Angesagt ueber Navtex ist drehend auf Nord und 6bft. Waere natuerlich prima. Im Moment laufen wir 35 Grad zu weit suedlichen Kurs von der Kurslinie.

Gerade ist Wachwechsel. Ich geh dann mal schlafen.

Es geht wieder auf den Sonnenuntergang zu. Wir motoren eigentlich schon den ganzen Tag. Zwischendurch immer wieder verzweifelte Versuche, aus einem Hauch Meeresduft, einer Boee einen Segelwind zu zaubern. Raus die Segel, wieder rein die Segel. Das kann Guido jetzt auch im Schlaf. So regeln sich die Sachen dann doch von ganz alleine.

Guido kocht Haehnchen in Knoblauch, oder andersherum. Reinspucken nicht vergessen Guido! Will er aber nicht.

Der fehlende Wind hat aber auch seine schoenen Seiten. Wildeste mir bis dato vollkommen unbekannte Wolkenformen bilden sich am Himmel. Buecher werden gewaelzt. Und. Die Duehnung rollt von Nordwest heran. Teilweise 6 Meter hoch, Kinderarschglatt, wie in der Augsburger Puppenkiste bei =Murmel aus dem Eis=. Wahnsinn, stundenlang sitze ich im Bug und schaue den Wellen, den Farben und dem Himmel zu. Waterworld. Wir sind hier Gast.
Der Versuch so etwas zu fotografieren ist schon so oft misslungen, dass ich es schon laengst aufgegeben habe.

Wenn nicht auf meiner Armbanduhr das Datum stehen wuerde, so wuesste ich es nicht. Ist aber eigentlich auch wirklich nicht wichtig. Waterworld. Ergibt sich die Frage nach dem Wochentag, doch auch das ist doch eigentlich unwichtig.

Beim Betrachten der Wellenberge denke ich oft an Windstaerke 8 oder 10. Sind die Wellen dann auch noch so pittoresk? Ich werde mir die Hosen zuscheissen, aber jetzt ist es ja nicht so.

So wie dieser Text, springen auch eine Gedanken. Ich schreibe ins Vakuum. Ohne zu wissen, wer es liest, wen es interessiert, was derjenige damit ueberhaupt anfangen kann. Es ist lustig. Genauso frei, wie man hier draussen in Waterworld ist, so frei benimmt man sich auch bei der Umsetzung seiner Gedanken. Jahrelang war ich gezwungen fuer Zielgruppen zu denken, nein, dass tue ich jetzt nicht mehr. Will ich auch gar nicht mehr.

Es gibt Segler, die sollen wahnsinnig geworden sein auf See. Nun gut damit habe ich ja denn nun wirklich kein Problem, das war ich als kreativer ja schon immer auch vorher.

Sonnenaufgang: Boaa. Das Licht brennt sich den Weg durch die Wolken. Alle Farben der Welt. Ne, doch nicht ganz.

Ungewoehnliche Zeit fuer ein Bier. Erinnert mich an meine Taxi-Zeit, als ich mir hin und wieder nach der Schicht um 7 Uhr morgens in der Trinkhalle eins besorgt habe (in DEEEEM Alter - schockierte Blicke!). Schmeckt auch jetzt prima. Besonders nach der Nachtwache. Micha schlaeft, Guido trinkt.

Die Zeit an Bord ist halt irgendwie anders: schmiert so dahin, wabert, maeandert, glubscht ineinander und aneinander vorbei. Des einen Feierabend ist des andren Fruehstueckszeit.

Die dritte Nacht an See ist vorbei und wir haben fast die Haelfte geschafft: d.h. im Radius von 400 km kein Land (hoechstens 4000 m nach unten). Macht das eigentlich unruhig? _berhaupt nicht. Die Ironlady ist zwar mit ihrem Stahlrumpf und den zusaetzlichen 1.200 kg Wasser und Diesel wirklich nicht die Schnellste, aber dieser ganze Ballast ergibt eine schoene Kurstreue und eine Wasserlage, wie ich sie von den Charter-Joghurtbechern nicht kenne.

Nur das Haindling ist etwas gewoehnungsbeduerftig: wenn ich nicht grade stolper, suche ich. Oder fummle. Und wenn man zusammen arbeitet, heisst es laufend: hierhin, nicht dahin. Daher, nicht dorther. Ordnung, das ganze Leben der Fahrtensegler: wer hat in meinem Setzkaestchen geschnueffelt?

Schalten Sie auch morgen wieder ein, wenn es heisst: die Schattenseite des Seglerdaseins - das Klo.

09:30 Micha. So ich bin jetzt wach. Oder doch nicht. Guido schaut mich unglaeubig an.

Kein Wind. Flaute. Kalmen. Wir nehmen die Segel runter. Schaukeln in der Duehnung und gehen erst ein mal schwimmen. Ja Papa, es sind wirklich 22 Grad Wassertemperatur und es gibt Haie, die sind aber gerade nicht hier sondern woanders.