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Geburtstag auf haitianisch

Der haitianische Spieß

Wer in Deutschland ein Spanferkel an seinem Geburtstag verzehren will, ruft den Metzger seines Vertrauens an und bestellt eines. Auf der Ile a vache ist das eine Tagesbeschäftigung. Morgens um halb neun, nach Geburtstagsständchen, Kuchen und Kaffee, stehen Pascal und Ashley bereits im Einbaum an der Reling und drängen zum Aufbruch. Später ist es zu heiß, wir müssen los. Eine Stunde, sagt Ashley, müssen wir laufen. Lokale Zeitangaben sind allerdings immer mit Vorsicht zu genießen, zum einen, weil der Großteil der Einheimischen gar nicht auf die Uhr schaut, zum anderen, weil ein 19-jährige Inselbewohner, der jeden Stein in und auswendig kennt, schneller läuft, als unsere 6 Personen Crew, die außer marschieren auch noch fotografieren, trinken, schnattern, Pause machen und trödeln muss. Wir wandern durch Palmenhaine, vorbei an Maisfeldern, Süßkartoffeln und Bananenplantagen. Der Ackerbau hier ist harte körperliche Arbeit, ein paar kleine Arbeitspferde helfen den schweren, lehmigen Boden zu pflügen, Maschinen gibt es keine. Dieses Jahr sieht die Ernte gut aus, die Mangobäume hängen voll mit grünen Früchten, die in einem Monat reif werden. Letztes Jahr hat Hurrikan Sandy einen Großteil der Ernte vernichtet, die Früchte am Baum, die Bananenstauden, die Maispflanzen konnten den Windgewalten nicht standhalten.

Nach einer Stunde Wanderung durch die Felder kommen wir zurück an die Nordküste der Insel. „Ah, das Dorf, ist hier der Markt?“ fragt meine hoffnungsvolle Crew. Natürlich nicht, ein paar Küstenkilometer am Strand und zwei weitere Dörfer müssen wir noch weiterwandern. Ein Teil der Mannschaft steht kurz vor der Meuterei, das spüre ich im Rücken, aber ich bin in meinem Element, endlich wieder laufen nach fast vier Tagen auf See. Maya fragt mir Löcher in den Bauch, die ich auf französisch übersetze und an unsere beiden Begleiter weitergebe. In den kleinen Küstendörfern kommen fast nie Weiße vorbei, eine Horde Vorschulkinder in sauberen Uniformen mit perfekten Zöpfchen starrt uns an. Die mutigsten wagen sich bis zu uns vor, der Anführer fasst vorsichtig meinen Arm an. „Ist gar kein Unterschied“, stellt er erstaunt fest, „fühlt sich an, wie bei uns!“ Bis zum Ortseingang begleitet uns die Kinderhorde.

Nach zwei, vielleicht waren es auch drei Stunden, erreichen wir Madame Bernhard, den Hauptort der Insel, unschwer zu erkennen an der rapiden Zunahme des Mülls, der am Straßenrand, vor den Häusern, auf den Wegen liegt, ein großes Problem. Ashley zieht mit Geld von dannen um das Schwein zu erstehen, nicht, ohne uns vorher bei Jackson abzuliefern. Jackson hat einen Laden vollgestellt mit HiFi-Anlagen mit Doppelkassettendeck aus den 80ern und dazu passenden Fernsehern. Allerdings hat er auch eine Kühltruhe mit kalten Getränken und ein paar Stühle im Schatten. Wohltuende Pause. Draußen zieht Ashley mit dem Schwein am Strick vorbei. Ich bin ja der Meinung, dass man, wenn man Fleisch und Fisch isst, auch ertragen muss, seine Nahrung vorher lebend zu sehen, und nicht nur im Sechserpack in Plastikfolie eingeschweißt im Kühlregal. Auf jeden Fall sind die Schweine hier auf der Insel glücklich, das haben wir auf unserer Wanderung gesehen, sage ich mir, und schon ist Ashley schon wieder verschwunden. Das Tier verladen.

Plötzlich wird es hektisch, denn keiner hat Lust den Rückweg mit einem Schwein an der Leine anzutreten und so nehmen wir das übliche Transportmittel, ein Segelboot. Pascal wird geschickt um Micha beim Fischreusenkauf zu unterstützen, ich muss das nötige Kleingeld für den Erwerb von Reis, Süßkartoffeln, Kochbananen und Brühwürfeln bereithalten. Bei den Preisverhandlungen verstehe ich kein Wort. An der Lautstärke liegt es nicht, die Marktfrauen schmettern uns ihre Anklagen auf Kriol entgegen, dass es nur so kracht. Vielleicht reden sie auch über das Wetter, wer weiß, ich verstehe ja nichts. Ein letzter Blick auf die Liste, den Rest haben wir an Bord, Schluss jetzt mit Feilscherei und Geldausgeben, es geht zurück in unser verschlafenes Dorf. Das Schwein sitzt schon im Bug des Schiffes und steckt die Nase in den Wind, Angst scheint es keine zu haben. Außer dem Schwein sitzen allerdings schon 5 weitere Passagiere, der Kapitän, ein Solarofen, 30 Stangen Zuckerrohr und unzählige Tüten und Körbe im Boot. Es ist kein großes Boot, vielleicht 5 Meter lang. „Das Segel ist wie beim Optimisten Mama“, stellt Maya fachmännisch fest. Ja, Optimismus können wir gut gebrauchen, immerhin steigen wir mit weiteren sechs Erwachsenen und zwei Kindern in die Nußschale. Stockanker hoch, Segel auf und los geht die Fahrt. Mit den Füßen stehe ich auf Zuckerrohr, mit dem Hintern sitze ich halb im Wasser, abenteuerlich. Maya hat Spaß ohne Ende, Lena hat nicht soviel für Jollen übrig, weder für kleine, noch für große. „Dafür musst Du nicht zurücklaufen“, tröste ich sie. Eine halbe Stunde später erreichen wir die Bucht, zum Halsen kommt wieder Aufregung ins Boot, gar nicht so einfach, auf die andere Seite zu wechseln, ohne auf Tomaten, Spinat, Brot oder Kartoffeln zu treten, Wenigstens hat keiner Eier gekauft. Baum kommt über, alles schiebt, führt, hilft mit, der Wind lässt nach und sanft setzt das Schiff am Strand auf Grund. Das Schwein und Lena sind zuerst an Land, wir anderen folgen.

Die Party steigt am Abend und natürlich ist alles karibisch anders, als geplant. Die Jungs bekommen ihren Generator nicht in Gang, und wollen weitere 20 Euro von mir, um einen Generator auszuleihen, wegen der Musik. Dann eben keine Musik, entscheide ich. Das Schwein steckt auch nicht komplett auf einem Spieß, wie erhofft, sondern wurde in kleine mundgerechte Stücke zerteilt und frittiert. Verständigungsschwierigkeiten, mein Französisch ist halt auch ein bisschen eingerostet. Mich stört es nicht. Da Ashley vergessen hat Plastikteller zu kaufen, gibt es Porzellanteller, echte Gläser und vernünftiges Besteck. Die Familie hat ihr Wohnzimmer nach draußen geräumt und eine lange Tafel für uns aufgebaut. Das Bier ist kalt, das Essen haitianisch und lecker und die ganze Gastgeberfamilie wird auch noch satt. Auch ohne Spieß wanken wir irgendwann glücklich im Dunkeln den Hügel hinunter zurück auf unsere MARLIN. Ein perfekter Geburtstag.



  • 23:30
  • 21.11.2013
  • 18°06.2177'N, 73°41.5349’W
  • -°/-kn
  • Ille a Vache / Haiti
  • Santiago de Cuba / Cuba
  • 28°
  • E/2kn
  • 0,5m

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