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Frustdusche

Hochsommer in Ushuaia. Geschichten aus Feuerland.

Wir befinden uns am untersten Punkt einer wellenförmigen Energiekurve. Deshalb konnte ich in den letzten Tagen auch so gar nicht Logbuchschreiben. Warum? Es ist vor allen Dingen Ushuaia und der ständige Wind hier. Es ist einfach unglaublich, wie dieser SW Wind, der um die Ecke der Berge in die Hafenbucht bläst unser Befinden beeinflusst. Ab Vormittag fängt der Wind an mit 35 Knoten, also Sturmstärke, zu blasen, so dass wir Maya und Lena auf dem Steg festhalten müssen, damit sie nicht umfallen und ins Wasser fallen. Der Hafen ist ständig geschlossen. Dazu kommt Niederschlag der sich als Schnee definiert. Wo wir letzte Woche in Puerto Williams noch das Mittagessen draußen im Cockpit zu uns nehmen konnten, hier bleibt die Tür zum Niedergang zu. Am Wochenende hatten alle Läden zu und mit dem Verproviantieren war Essig. Montag und Dienstag Feiertag. Karneval. Karneval wird aber gar nicht gefeiert. Die Supermärkte zwar auf, aber die Regale leer, das Gemüse alt und wir untätig auf der LADY. Und so schaue ich in die Motorraumbilge und entdecke fünf Liter Wasser. Der Schreck ist groß. Die wichtigste Geschmacksprobe ergibt allerdings: Süßwasser. Aha. Ein Blick in den Wärmetauscher, da fehlen die fünf Liter. Die Suche beginnt, alle Schlauchschellen nachziehen, mit Küchenpapier das Leck oder den kaputten Schlauch suchen. Die Familie ist bei Jaqueline, Nathalies schweizerische Freundin, deren holländischer Mann Henk grade wieder mit acht Gästen in der Anarktis Charter fährt. Auch auf einer Feltz, aber gute 5 Meter länger und entsprechend größer als unsere. Jaqueline hat auch Kinder, drei, und so sitzen die sieben Mädels und ein kleiner Junge, Tristian, alle im Clubhaus des Yachtclubs, schlürfen Nathalie und Jaqueline ihren Kaffee vor einer der drei Heizungen und die Kinderschar sitzt auf einem Tisch, spielt, weil der Boden viel zu kalt ist. Es ist laut. Gut das es dieses Clubhaus gibt. Draußen weht es, dass die LADY am Steg den Mast auf die Seite neigt.

Ist doch ein schönes Leben, aber eben auch nicht. Die Skipper der Charteryachen sind meist designiert von ihrem Job. Sie haben nur den Sommer, denn es ist hier grade Hochsommer, auch wenn der Schnee in den Bergen und die Temperaturen um die fünf Grad, grade nicht so unbedingt davon zeugen, in dessen vier oder fünf Monaten sie den Jahresumsatz machen müssen. So ist vor allen Dingen Freitags ein unglaublicher Verkehr an Menschen auf dem Steg in neuester Kleidung von HH und Musto. Alles neu. Bis zur Nasenspitze zugepackte Chartergäste, die auch beim siebenundzwanzigsten Mal, wenn sie einen sehen nicht ein „Guten Morgen“ über die Lippen bekommen. „Hallo? Geht’s denn?“, geht es mir durch die Nase. Und die Skipper, deren Job ja nun mal bekannter weise 24h Animation bedeutet, sind ebenso kommunikationsarm, schlecht gelaunt und seebärisch, weil im Stress. Ausnahmen bestätigen die Regel. Vielleicht sehe ich das auch nur auf dem untersten Punkt unserer wellenförmigen Energiekurve und dem Kühlwasser in der Bilge, dessen Herkunft ich nicht wirklich herausfinden kann. Es bläst. Jetzt in Böen. Der Wind ist kalt. Sechs Grad. Kein Wunder das alle hier so komisch drauf sind. Ich vermisse grade die Strandpartys mit anderen Seglern, mit gleichen Zielen, Idealen und Kindern in der Karibik, wo das größte seglerische Unglück des nächste Passatwindschlages nach West, eine Flaute sein kann. Wir habe das Kap umrundet, dort tagelang festgehangen bei Starkwind und der Weg die fünfzig Meilen zurück nach Puerto Williams war schon ein Abenteuer für sich. Mit Karibiksegeln hat das nicht viel zu tun. Die Bergungsaktion der BOMIKA war eine weitere Geschichte, die uns tagellang in Atem gehalten hat. Natürlich hat das unserem Mut gegen den Starkwind nach Westen zu motoren, mit zwei Kindern in die monatelange Einsamkeit, nicht unbedingt gut getan. Wir sind mutlos. Und der Wind in Ushuaia, der jeden Tag den Berg runter kommt, macht einem eben nicht mehr, sondern eher weniger Mut. Umkehren und nach Brasilien segeln? Energiekurve, sag ich da nur.

Nathalie macht jeden Tag Schule mit Maya und Lena lernt fleißig mit. Auch hier gibt es Tage, die sind sonnig und es gibt Tage, die sind regnerisch. Is klar. Wie im normalen Legen. Vorgestern war eher stürmisch und ich bewundere Nathalies Mut und Durchhaltevermögen im Kampf gegen die rasend schnell wachsende Maya mit den typischen Anomalitäten des Schulalltags. Es ist die Zeit in der ich Lunatronic mache, meinen Job. Da muss ich mich dann auch schon mal einen halben Tag mit DHL rumschlagen und wenn ich nicht so tolle Helfer und Freunde in Deutschland hätte, ich würde alt aussehen. Gestern hab ich dann mal einen Strich unter die Zahlen gemacht. Es hat sich nichts verändert. Ich hab immer noch nicht den Weg gefunden, wie man mit wenig Aufwand reich wird. Es ist genau anders herum. Viel Arbeit, wenig Lohn. Ziehe ich die Preise auf das Level an, dass ich eigentlich bräuchte, gibt es keine Jobs. Kennen wir ja schon.

Jeden Tag erreichen uns Mails von Freunden in Deutschland, die meinen, dass es uns ja viel besser gehen würde, als ihnen in Deutschland, in der Kälte, dem Schnee, der Arbeit, dem Stress. Wenn ich das so vergleiche, sehe ich das im Moment nicht so ganz. Nicht im Club AFSyN, nicht in Ushuaia, nicht bei diesem Wind. „Nathalie, können wir nicht schnell wieder nach Puerto Williams zurück? Ausklarieren und endlich nach West? Ich glaube ich muss hier weg.“ Heute sind noch vierhundert Liter Diesel zu organisieren, ein dicker Einkauf im Carrefour. Zwei Interviews stehen noch auf dem Plan und Photos für einen Artikel. Es sind wieder 40 Knoten Wind für heute Abend angesagt. Danach Windstille für ein paar Tage. Is klar, dann wenn wir nach Ost segeln wollen, nach Puerto Williams. Scheiße. Mir reicht’s echt. Wenn es hier warmen karibischen Sand gäbe, ich würde meinen Kopf da rein stecken.



  • 08:00:00
  • 22.02.2012
  • 54°48.8317'S, 068°18.4009'W
  • 0°/-kn Anchor
  • Ushuahia / Chile
  • Puerto Williams / Chile
  • 15kn, SW
  • 0,5 m

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